Zahnmedizin

Versorgungslücke bei der zahnmedizinischen Versorgung von Kleinkindern und Menschen mit Behinderungen an deutschen Unikliniken

Die zahnmedizinische Versorgung von Kleinkindern, Kindern und Erwachsenen mit schweren Krankheiten sowie von Senioren ist derzeit in Deutschland stark gefährdet. Diese Personen benötigen oft eine zahnmedizinische Versorgung in Vollnarkose – die jedoch hierzulande häufig nicht ausreichend gewährleitet werden kann.

Eine Umfrage unter allen 30 zahnmedizinischen Universitätskliniken Deutschlands zeigt, dass eine deutliche Mehrheit der Standorte diese vulnerablen Patient*innen nicht ausreichend versorgen kann. Die Wartezeiten für Behandlungen in Vollnarkose betragen demnach im Schnitt derzeit viereinhalb Monate – 2009 lagen sie noch bei drei bis vier Wochen.

Schwer kranke Kinder und Erwachsene, sehr kleine Kinder, Menschen mit Behinderungen und sehr alte Patient*innen – sogenannte vulnerable Gruppen – benötigen in der Zahnmedizin in vielen Fällen eine Vollnarkose für den zahnmedizinischen Eingriff. „2021 hatten 86 Prozent der Kinder in der Kindersprechstunde in Heidelberg schwere Erkrankungen und Behinderungen, wie Entwicklungsstörungen, Lähmungen, Epilepsie, Down-Syndrom oder sonstige Fehlbildungssyndrome“, berichtet Prof. Dr. med. dent. Diana Wolff, Ärztliche Direktorin der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde am Universitätsklinikum Heidelberg. Diese und andere vulnerable Patient*innen brauchen für die oft aufwändige Behandlung eine Vollnarkose – und eine anschließende stationäre Betreuung nach der Operation. „Es ist aus unserer Sicht untragbar, wenn ein Mensch mit Behinderung, der sich schlecht artikulieren kann und bei Zahnschmerzen aufhört zu essen, sich an den Kopf schlägt oder schreit, mehr als vier Monate auf eine Narkosebehandlung warten muss“, so Wolff.

Verschiedene Ursachen führten zu der heute so dramatischen Situation: Die Zahl der vulnerablen Patient*innen ist gestiegen – unter anderem aufgrund des demografischen Wandels. Daneben wollen die Zahnärzt*innen auch die Zähne und damit die Lebensqualität der zum Teil noch sehr jungen Patient*innen erhalten – und zahnerhaltende Maßnahmen wie Zahnsanierungen sind aufwändiger als das Ziehen der Zähne. Die Anzahl der Operationssäle und auch die Anzahl der Pflegekräfte ist aber begrenzt. „Im Regelfall ist kein Personal für die reine Krankenversorgung verfügbar, weil das zahnärztliche Personal an Universitätskliniken über die Studierendenzahl, das heißt eine sehr veraltete Kapazitätsverordnung, reguliert ist“, sagt Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Bernd Lethaus, Direktor der Klinik und Poliklinik für Mund, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie in Leipzig.

Zudem werde der Aufwand der Kliniken weder für ambulante noch für stationäre Zahnsanierungen in Narkose adäquat bezahlt. „Die strikte Trennung zwischen ambulanter und stationärer Abrechnung macht kostendeckendes Arbeiten nahezu unmöglich“, erklärt Lethaus. „Momentan fallen vulnerable Gruppen im freien Fall durch das Raster unseres Gesundheitssystems. Diese Patient*innen müssten primär in Universitätskliniken behandelt werden. Hier ist die Situation – nicht zuletzt aufgrund der Effekte der Corona-Pandemie und dem gestiegenen Kostendruck – jedoch besonders angespannt.“

DGMKG und die VHZMK fordern eine Auflösung der Trennung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung. Die Kosten für zahnmedizinische Leistungen in Narkose – darunter unter anderem auch der Zahnerhalt durch Prophylaxe, restaurative Therapie und Kinderkronen – müssen adäquat vergütet werden. „Wir stellen uns weiterhin Netzwerkstrukturen vor, in denen wir Hand in Hand mit niedergelassenen Kolleg*innen und Schwerpunktpraxen arbeiten“, so Prof. Dr. Wolff.

Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) und der Vereinigung der Hochschullehrer für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (VHZMK), Hamburg, 15.06.2023.