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22.12.2017·Zahnmedizin Die Bedeutung und Möglichkeiten der Mundhygiene bei pflegebedürftigen Menschen

·Zahnmedizin

Die Bedeutung und Möglichkeiten der Mundhygiene bei pflegebedürftigen Menschen

von Nicole Graw, Lehr-Dentalhygienikerin des Fortbildungsinstituts der Zahnärztekammer Bremen

| Schon heute kommen auf jeden Zahnarzt 32 ältere Patienten mit Pflegestufe. Es kommen immer mehr Menschen in ein Pflegeheim, das Modell der Großfamilie hat ausgesorgt. Heime nehmen pflegebedürftige Menschen zwar auf, aber gute Pflege ist personalintensiv und daher teuer. Das Personal ist immer stärkerem Leistungs- und Zeitdruck ausgesetzt. Auf der Strecke bleibt u. a. die Körper- und Zahnpflege. Im Schnitt kann nur die Hälfte der Heimbewohner ihre Zähne selbst reinigen. Daher befasst sich dieser Beitrag mit der Bedeutung und den Möglichkeiten der Mundhygiene bei pflegebedürftigen Menschen. |

Die Bedeutung der Mundhygiene in der Pflege

Der Mund ist eine Eintrittspforte für Bakterien in den Körper. Die Ansammlung von Bakterien auf Zähnen und Prothesen hat einen wichtigen Einfluss auf die Gesundheit. So besteht ein Zusammenhang zwischen unzureichender Mundhygiene und Lungenerkrankungen. Das Risiko für Schlaganfälle und Herzerkrankungen steigt.

 

Nicht selten werden Mundprobleme so lange ignoriert, bis manche Zähne in Notfallbehandlungen entfernt werden müssen. Daher spart eine gute und regelmäßige Mundpflege auch Zeit in der Pflege, weil Zahnersatz vermieden wird und Nahrung leichter aufgenommen werden kann.

 

Die Ernährung hat für Pflegebedürftige neben der physischen auch eine besonders wichtige psychische Bedeutung. Eine Verschlechterung der Kaufunktion behindert die Nahrungsaufnahme. Eine Magensonde kann die psychische Seite des Essens nicht ersetzen. Die Behandlung akuter Schmerzen bei pflegebedürftigen Menschen kann oft nicht zeitnah erfolgen. Mit der richtigen Vorbeugung kommt es viel seltener zu Notfallsituationen.

Der Leistungsanspruch für Pflegebedürftige

Der Gesetzgeber hat diese Situation erkannt. Das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VStG) regelt im § 22a SGB V einen neuen Leistungsanspruch für die Mundgesundheit von Pflegebedürftigen, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit eingeschränkter Alterskompetenz. Sie umfassen

 

  • die Erhebung eines Mundgesundheitsstatus,
  • die Aufklärung über die Bedeutung der Mundhygiene,
  • Maßnahmen zur Erhaltung der Mundgesundheit,
  • die Erstellung eines Plans zur individuellen Mund- und Prothesenpflege,
  • die Entfernung von Zahnbelägen.

 

PRAXISHINWEIS | Der fortgeschrittene bis vollständige Zahnverlust ist wegen der xerostomiebedingten Prothesenintoleranz schwierig zu behandeln. Deshalb wird der implantatgetragene Zahnersatz, der heute mit guter Prognose möglich ist, in Deutschland auf Beantragung nach dem Erstellen eines Gutachtens als Ausnahmeindikation (§ 28 SGB V) von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet.

 

Mangelsituation bei der Mundhygiene in den Pflegeheimen

In den Pflegeheimen und beim Pflegepersonal gilt es, die weit verbreiteten Vorbehalte zur zahnärztlichen Betreuung zu überwinden. Sie sehen durch das zahnärztliche Engagement noch mehr Bürokratie und zusätzliche Pflegeleistungen und Pflegekontrollen auf sich zukommen.

 

Ein weiterer Mangel ist die nicht ausreichende Verankerung der Zahn-, Mund- und Zahnersatzpflege in der Ausbildung der Pflegekräfte (ca. sechs Stunden in drei Ausbildungsjahren). Da auch in umfangreichen Nachschlagewerken für Pflegekräfte nur wenig über die Zahn-, Mund- und Prothesenpflege zu finden ist, entsteht eine große Diskrepanz zwischen der Ausbildung und den Anforderungen an die Pflege im Bereich der Mundhöhle.

 

In Pflegeheimen haben sich auch die Erkenntnisse über die Ätiologie sowie die Pathogenese oraler Erkrankungen nicht durchgesetzt. Dass Implantate durch eine gute Mundhygiene erhalten und das periimplantäre Gewebe gesund bleiben kann, ist oftmals unbekannt. Und dies, obwohl jährlich mehr als eine Million Implantate gesetzt werden.

Das bedarfsorientierte Mundhygienekonzept

Aus der Ermittlung des Pflegebedarfs resultiert ein bedarfsorientiertes Mundhygienekonzept. Hierzu werden einfache Fragen gestellt:

 

  • 1. Kann die Prothese vom Patienten selbst problemlos herausgenommen und wieder eingesetzt werden?
  • 2. Kann der Patient die Prothese selbst reinigen?
  • 3. Ist der Patient zur Ausführung seiner Mundhygiene ausreichend motiviert?
  • 4. Wie gut ist die manuelle Geschicklichkeit ausgeprägt?
  • 5. Besitzt der Patienten alle notwendigen Utensilien zur Mundhygiene?

 

Die Einstufung kann mit der Erstellung der Pflegeanamnese stattfinden. Entsprechend der Zuordnung in eine Pflegestufe wird die Hilfeleistung bei der Mundhygiene geplant.

Der „Fremdgeputzte“: Mundhygiene durch unterstützende Personen

Diese Gruppe bilden die Menschen, die nicht selbstständig ihre Zähne reinigen können. Sie sind auf die Hilfe der Pflegenden angewiesen. Wenn man den Griff einer Zahnbürste seitlich in die Backentasche einführt und hinten gegen den Knochen bzw. gegen die Muskelschlinge drückt, wird der Mund meistens geöffnet. Nun wird man schnell eine Mundstütze zwischen die Zahnreihen bringen. Zur Öffnung eines unbezahnten Kiefers eignet sich ein Molt, beim bezahnten Kiefer hat sich ein Denhardt bewährt.

 

Putzen am Waschtisch oder im Bett

Am besten ist das Putzen am Waschtisch. Die pflegende Person müsste sich hinter den Patienten stellen, um den Kopf zu stützen und ihm dann aus dieser Position heraus die Zähne putzen. Aber auch im Bett könnte man den Kopf des Patienten halten und die Bürste wie dargestellt anwenden. Wenn der Kopf des Patienten gut abgestützt ist, wäre es sogar einfacher, von vorne zu arbeiten.

 

Welche Bürsten haben sich bewährt?

Klinische Studien beweisen, dass eine Dreikopfzahnbürste den Zahnbelag um 25 Prozent effizienter entfernt als eine herkömmliche Handzahnbürste. Darüber hinaus können Glycerin-Lemon-Sticks zur Säuberung und Befeuchtung der Schleimhäute genutzt werden. In der Palliativpflege haben sich Absaugzahnbürsten bewährt. Das Schwämmchen auf der gegenüberliegenden Seite des Borstenfelds entfernt gleichzeitig Ablagerungen und Schleim in der Mundhöhle und regt die Durchblutung an. Das Borstenfeld besteht aus weichen Borsten, um die Gingiva nicht zu verletzen.

 

Gefahr der Reinfektion über persistierende Keime beachten

Gerade bei immungeschwächten Patienten besteht die Gefahr der Reinfektion über persistierende Keime auf der Zahnbürste oder Prothese. Die Desinfektion mit einem CHX-Spray (z. B. „anti-infectg“) ist in diesem Fall effektiv. Der Mund gilt gerade bei pflegebedürftigen Patienten als Keimreservoir für Pneumonien. Mehrere Studien bestätigen, dass parodontale Erkrankungen das Risiko von Atemwegsinfektionen erhöhen. Neben guter Mundhygiene ist auch die Desinfektion von Zahnbürsten oder Zahnersatz eine einfache Strategie, die Keimzahl zu senken und Rekontaminationen zu vermeiden.

Der „Hilfsputzer“: Mundhygiene muss unterstützt werden

Manche Pflegebedürftigen benötigen die Hilfe eines Dritten, um die tägliche Mundhygiene in ausreichendem Maße selbstständig durchführen zu können. Dies wird durch Anleitung, Kontrolle und Motivation, aber zum Teil auch durch Nachputzen durch den Betreuer realisiert. Zum gezielten Nachputzen können Färbetabletten genutzt und eine Solobürste eingesetzt werden. Die Adhärenz dieser Personen kann als gut bezeichnet werden.

 

Teilprothesen sitzen oft sehr fest. Teilweise können sie sehr zerbrechlich sein, wenn Patienten nicht mehr über eine hundertprozentige Geschicklichkeit verfügen. Das Entfernen und Einsetzen ist für Patienten oft mit Stress verbunden. Gleiches gilt für herausnehmbaren implantatgetragenen Zahnersatz. Daher ist Unterstützung bei der Mundhygiene hier wichtig.

 

PRAXISHINWEIS | Bei gestörtem Schluckreflex empfiehlt sich die folgende Vorgehensweise: 1. Oberkörper aufrecht lagern. 2. Mit dem Absauggerät die Mundflüssigkeit absaugen. 3. Wenig Zahnpasta verwenden. 4. Mit feuchten Watteträgern die Zahnpasta entfernen. 5. Kontrolle. 6. Lippenpflege.

 

Möglichkeiten der Reinigung und Politur von Prothesen

Bei der Reinigung gibt es folgende Möglichkeiten:

 

1. Das Ultraschallbad

Damit der Ultraschall Beläge von der Prothese absprengen kann, wird sie in ein Bad gelegt. Der Ultraschall erzeugt Schwingungen. Millionen kleinster Vakuumbläschen entstehen. Fallen diese Blasen in sich zusammen, bilden sich Druckwellen. Diese Druckstöße zertrümmern harte Beläge und Mikroben, sprengen Schmutzreste und Verfärbungen ‒ auch im unzugänglichsten Winkel der Prothese.

 

2. Die manuelle Reinigung

Die manuelle Reinigung erfolgt mit einer speziellen Prothesenbürste, die etwas anders geformt ist als eine normale Zahnbürste. Für die Reinigung ist im Handel eine Reinigungspaste erhältlich. Die Omega-Spiralbürste der Curaprox-Prothesenbürste reinigt die bisher unerreichbaren Nischen, z. B. bei einer Teleskopprothese.

 

3. Die Reinigung mithilfe von Reinigungstabletten oder -pulver

Die dritte Möglichkeit ist die Reinigung mithilfe von Reinigungstabletten oder Reinigungspulvern, die in Wasser aufgelöst werden. Die Prothese wird zunächst unter fließendem Wasser abgespült, um grobe Nahrungsreste zu entfernen. Dann wird sie zur Reinigung in die Reinigungslösung gelegt. Die Reinigungstabletten enthalten keimtötende Stoffe. Bei den meisten Reinigungstabletten reicht eine Anwendung von etwa 15 Minuten aus. Manche sind für die Reinigung über Nacht ‒ also eine Dauer von sechs bis acht Stunden ‒ gedacht. Vor dem Wiedereinsetzen muss die Prothese gründlich abgespült werden.

 

Viele Tabletten und Pulverreiniger enthalten neben anderen Inhaltsstoffen Salz- und Zitronensäure. Die Folge ist: Der Kunststoff bleicht aus und wird spröde, was die Sprung- und Bruchgefahr stark erhöht. Daher sollte darauf geachtet werden, dass diese Inhaltsstoffe nicht enthalten sind.

 

FAZIT | In früheren Zeiten hatten Senioren oft nur wenige Zähne. Heute besitzen ältere Menschen noch mehr eigene Zähne, haben Implantate oder aufwendigen Zahnersatz. Die Mundhygiene stellt neue Anforderungen an die Altenpfleger. Es bedarf viel Aufklärungsarbeit durch das zahnärztliche Personal, um Hand in Hand für eine lebenslange Zahngesundheit zu kämpfen.

 

Weiterführende Hinweise

  • Beachten Sie zu dieser Thematik auch die folgenden Beiträge:
  • „Therapiekonzept zur Behandlung periimplantärer Entzündungen: Diagnostik – Behandlung – Recall“ in PI 05/2016, Seite 18
  • „Wirksame Individualprophylaxe verlängert die Lebensdauer zahnärztlicher Implantate“ in: PI 7/2012, Seite 15 ff.
  • „Fallbeispiel: Die Implantatprophylaxe ‒ immer häufiger tägliches Programm einer ZMP“ in: PI 03/2011, Seite 3 ff.
  • „Die Organisation und Durchführung der Prophylaxe bei Implantat-Patienten“ in: PI 05/2010, Seite 13 ff.