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29.01.2014·Zahnmedizin Open Healing: Augmentation ohne Knochen und ohne primären Wundverschluss

·Zahnmedizin

Open Healing: Augmentation ohne Knochen und ohne primären Wundverschluss

von Dr. Georg Taffet, Rielasingen-Worblingen

| Die Implantologie hat sich durch die Forderung der Patienten nach mehr Ästhetik vom Hilfsmittel für die Fixation von Epithesen und Prothesen zu einem vollwertigen Zahnersatz entwickelt. Immer mehr Augmentationen von Hart- und Weichgewebe sind notwendig, um ein gutes ästhetisches Ergebnis zu erreichen. In diesem Beitrag wird die Frage erörtert, ob eine Augmentation ohne Eigenknochen und ohne Wundverschluss möglich ist. |

Überlegungen zum Augmentationsmaterial und zur Technik

Eigener Knochen hat sich als Augmentat bewährt, wenn die Entnahme aus dem Kiefer oder Schädel des Patienten erfolgte. Vielfach wurde jedoch über Misserfolge bei Knochen aus dem Beckenkamm berichtet: Abgesehen von der lokalen Morbidität an der Entnahmestelle gibt es viele Berichte darüber, dass Beckenkamm-Augmentate sehr schnell und massiv resorbieren. Becken- und Kieferknochen haben eine unterschiedliche embryonale Herkunft, möglicherweise auch einen unterschiedlichen Metabolismus. Daher fühlt sich transplantierter Beckenknochen im Kiefer nicht unbedingt heimisch.

 

Viele Kollegen schwärmen vom osteogenen Potenzial des autologen Transplantats. Ich glaube nur begrenzt daran: Der Kieferwinkel zum Beispiel besteht überwiegend aus Kompakta, mit wenig Spongiosa und Markräumen. Wir kennen alle die Wundheilungsstörungen, die relativ oft in Verbindung mit Weisheitszahn-Osteotomien auftreten: Die Wunden in dieser Gegend heilen nicht gut, weil der Knochen schlecht durchblutet ist. Kann ein aus dieser Gegend entnommener und transplantierter Knochenblock ein zufriedenstellendes osteogenes Heilungspotenzial entwickeln?Ich glaube, dass der größte Teil der darin enthaltenen Knochenzellen tot ist, bevor eine Revaskularisation des Transplantats stattfindet. Es handelt sich so gesehen bei dem Transplantat um einen Sequester. Wenn Operateur und Patient Glück haben, findet sich ein steriler Sequester, der im Laufe der Zeit von Osteoklasten resorbiert wird und so lange den Raum offen hält, bis neue Blutgefäße und Osteoblasten aus dem ortsständigen Knochen einwandern.

 

Brauchen wir dafür autologe Knochenblöcke? Diese Vorstellung würde auch erklären, weshalb Wunddehiszenzen so oft zu einem Problem werden: Auf dem nicht durchbluteten toten Knochenblock hat das Bindegewebe des Lappens keinen Nährboden, keine Möglichkeit anzuwachsen. Die Oberfläche des Blocks ist ähnlich gewebefeindlich wie eine GORE TEX®-Membran.

Was wäre, wenn man die Membran offen einheilen lässt?

Für die meisten Indikationen haben sich aus Kollagen hergestellte Membranen durchgesetzt. Auf dem Osteology Symposium in Luzern in 2004 haben einige Referenten Fälle vorgestellt, bei denen nach Lappendehiszenz und freiliegender Kollagenmembran trotzdem eine problemlose Heilung über sekundäre Granulation eingetreten ist. Ich habe mir die folgenden Fragen gestellt:

 

Nach Deperiostierung des Knochens, Lappenmobilisation und Periostschlitzung kommt es zu einer Dehiszenz. Trotz der vorherigen massiven Traumatisierung der beteiligten Gewebe heilt die Wunde relativ problemlos wieder zu! Was wäre, wenn man keine Periostschlitzung mehr durchführt, den Lappen gar nicht mobilisiert und den Knochen nicht deperiostiert? Was wäre, wenn man den augmentierten Bereich von Anfang an nur mit einer Kollagenmembran deckt und die Wundränder nur mit Positionsnähten fixiert? Was wäre, wenn man die Membran offen einheilen lässt („Open Healing“)? Eigentlich müsste es besser funktionieren, weil die Durchblutung der beteiligten Gewebe optimaler – also das OP-Trauma – deutlich geringer ist!

Ein Praxisfall zum Open Healing

Wegen massiven Parodontalabbaus mit Furkationsbeteiligung und Mobilität zweiten bis dritten Grades mussten bei einem Patienten Zähne entfernt werden. Das allgemein übliche Protokoll sieht die Extraktion in der ersten Sitzung vor. In einer zweiten Sitzung – nach Abheilung der Extraktionsalveolen – wäre ein externer Sinuslift mit oder ohne sofortige Implantation notwendig, je nachdem wieviel Knochen nach dem Abheilen der Alveolen übrig bleibt. Auf jeden Fall aber werden aufgrund des vertikalen Kieferkammdefizits die Implantatkronen sehr lang. Dies hat ästhetische und vor allem funktionelle Nachteile zur Folge. Um diese zu reduzieren und älteren Patienten postoperative Beschwerden zu ersparen, habe ich mich für das in meiner Praxis über die Jahre entwickelte und bewährte Protokoll entschieden.

 

Die Zähne 15, 16 und 17 wurden minimalinvasiv entfernt. Es erfolgte ein krestaler Schnitt durch die Papillen, die Gingiva wurde bis 2 mm jenseits der vestibulären und palatinalen Knochenränder abgehoben. Auf vertikale Entlastungsschnitte wurde verzichtet, nur um die Nachbarzähne herum wurde die Gingiva mit einem scharfen Raspatorium leicht gelöst. Die Alveolen wurden auskürettiert und mit einer sterilen Kochsalzlösung gespült, ein Titangitter passend zugeschnitten und 2 bis 3 mm unter die palatinale Schleimhaut geschoben. Danach wurden die Alveolen mit Bio-Oss gefüllt, das Augmentationsmaterial weiter in die Höhe gebracht und das Material palatinal vom Titanmesh gestützt. Vestibulär nutze ich ein breites Raspatorium als „Verschalung“.

 

Das Titangitter wurde über das Augmentat gebogen und mit langen Osteosyntheseschrauben sicher fixiert. Eine Bio-Gide®-Membran wurde passend zugeschnitten, über das Gitter gelegt und jeweils 3 bis 5 mm unter die Wundränder geschoben. Eine weitere Fixation der Membran war nicht notwendig. Die Wundränder wurden über Positionsnähte fixiert. Beachten Sie den Abstand von mehr als 10 mm zwischen vestibulärem und palatinalem Lappenrand.

 

Die Wundheilung verlief problemlos, es gab keine größere Schwellung. Der Patient erhielt die Anweisung, die Gegend nicht selbst zu reinigen und mit der Zunge von der Wunde fern zu bleiben. Er kam jeden zweiten Tag und die freiliegende Membran wurde mit CHX-Lösung gespült. Die Bio-Gide®-Membran ist 10 bis 14 Tage im Mund beständig und löst sich dann langsam auf. Nach 14 Tagen erfolgte die Nahtentfernung. Die Schleimhaut war bereits teilweise unter das Titanmesh eingranuliert und bedeckte das Graftmaterial, wobei ein geringer Teil, der noch nicht überwuchert war, verloren ging.

 

Drei Monate später entfernen wir in einem kleinen Eingriff das Titangitter; die Schrauben lagen frei zugänglich. Die Ränder wurden mit dem Raspatorium unter Lokalanästhesie freigelegt und das Mesh mit einem alten Nadelhalter abgezogen. Der Zungendruck hatte das Titanmesh etwas eingedrückt, dadurch entstand ein leichter Höhenverlust. Deshalb verwende ich heute ein dickeres, stabileres Titanmesh, mit dem das Gewebe bereits eine Woche später gut verheilt und keratinisiert ist. Weitere drei Monate später waren die Knochenverhältnisse gut, die Implantation konnte minimalinvasiv über Stanzung, die prothetische Versorgung sechs Monate später erfolgen.

 

Bio-Gide® und Bio-Oss® sind schon lange auf dem Markt und gehören zu den wissenschaftlich gut dokumentierten Materialien. Allerdings erteilt die Fa. Geistlich noch nicht die Freigabe der Bio-Gide®-Membran für „Open Healing“-Techniken mit der Begründung fehlender wissenschaftlicher Studien. Basierend auf Erfahrungen und Studien aus der Dermatologie und der Traumatologie hat die Membran DynaMatrix® (Keystone Dental) eine Freigabe erhalten.

Open Healing ist kein Mythos, sondern Realität!

In Anbetracht dieser Techniken und Materialien muss sich jeder chirurgisch tätige Kollege die Frage beantworten, ob autologer Knochen und primär geschlossene Wundheilung noch den Goldstandard in der Augmentation darstellen. Führen nicht auch einfachere und schnellere, für den Patienten preiswertere und weniger traumatische Wege zuverlässig zum gewünschten Ziel? Es ist einfacher, die Gewebe des Patienten zu erhalten, bevor sie infolge des natürlichen postextraktionellen Remodellings verloren gehen, als sie danach wieder durch teure, komplexe und traumatische Augmentations-Methoden zu rekonstruieren. Die „Socket oder Ridge Preservation“ sollte eigentlich zur Routinebehandlung nach jeder Extraktion werden. Es ist nicht notwendig, große weitläufige Lappen zu mobilisieren. Die Deperiostierung an sich – vor allem aber in Verbindung mit Periostschlitzung – verschlechtert die Durchblutung im operierten Gebiet. Die Wunden müssen nicht primär mit Schleimhaut geschlossen werden; ein Verschluss durch die Kollagenmembran reicht.

 

Zu beachten ist jedoch: „Open Healing“ ist nicht offen! Nicht jede Kollagenmembran ist dafür geeignet. Chemisch und mechanisch im Laufe der Herstellung verdichtete („additionsvernetzte“) Membranen sind nicht geeignet, da sie zu undurchdringlich sind und ein Einwachsen bzw. Durchwachsen von Blutgefäßen nicht erlauben. Eine perfekt durchgeführte Vorbehandlung des Patienten, um die Anzahl der sich in seiner Mundhöhle befindlichen Bakterien zu reduzieren, ist ebenso selbstverständlich wie eine gute Mundhygiene.

 

Weiterführender Hinweis

  • Fotos zur Falldokumentation und eine Literaturliste stellt Ihnen der Autor auf Anfrage gerne per Mail zur Verfügung: Georg.Taffet@t-online.de