Uncategorized

05.06.2015·Praxismarketing Kommerzialisierung und Liberalisierung in der Zahnmedizin: Ist der Preis zu hoch?

·Praxismarketing

Kommerzialisierung und Liberalisierung in der Zahnmedizin: Ist der Preis zu hoch?

von Dr. med. dent. Georg Taffet, Rielasingen-Worblingen

| Bis vor wenigen Jahren galt ein striktes Werbeverbot für (Zahn-)Mediziner. Die Kammern haben dieses Verbot mit Argusaugen überwacht und damit begründet, dass wir Mediziner keine Verkäufer sind, wir unseren Patienten ja nicht irgendwelche Leistungen „andrehen“ möchten. Nicht die Mediziner wollen etwas von den Patienten: Der Patient ist ein Mensch mit gesundheitlichen Problemen, er möchte etwas von uns, unsere Hilfe und Behandlung, nach Möglichkeit eine Heilung. Insofern benötigen Mediziner keine Werbung. Wir müssen die Patienten nicht anlocken, sie kommen von selber. |

Die Vor- und Nachteile der ehemals strengen Werberegeln

Die Kammern regelten strikt, unter welchen Umständen ein niedergelassener Arzt eine Anzeige aufgeben darf, wie groß diese sein darf und wie der Inhalt gestaltet sein soll. Die Kammer regelte auch Anzahl, Größe und Informationsgehalt des Praxisschildes. Die Nachteile liegen auf der Hand: Eine Information des Patienten über individuelle Fähigkeiten, Fortbildungsstand und Erfahrungen war nicht möglich. Es war eher Zufall, wenn der Patient auf Anhieb den Arzt gefunden hat, der ihm bei seinen speziellen Problemen helfen konnte. Seit dem Jahr 2002 ist Werbung zulässig – mit Einschränkungen:

 

 

Doch was haben wir aus der Abschaffung gemacht?

Lichtwerbung über die gesamte Fassade des Gebäudes ist in den Großstädten mittlerweile keine Seltenheit mehr. Rote Neonlippen im Fenster der „Zahnarztpraxis für Ästhetische Zahnheilkunde“ führen bei manchem Betrachter zu Assoziationen mit dem horizontalen Gewerbe. Mancher bietet seinen potenziellen Patienten die Teilnahme an Gewinnspielen an, um sie mit der Aussicht auf Gratis-Behandlungen in die Praxis zu locken. Im Vergleich dazu ist die Werbung mit der „lebenslangen Garantie“ auf der ersten Seite des Telefonbuchs eher harmlos. Kürzlich habe ich mich mit einem langjährigen Patienten unterhalten. Er ist Inhaber eines Sanitär-Heizungsbau-Betriebs. Ich hatte seine Werbung mit der Notfallnummer für seinen „Wochenend-Rohrbruch-Notdienst“ auf dem Deckblatt unseres örtlichen Telefonbuchs vermisst. Seine Antwort: „Tja, da sind jetzt Deine Zahnarztkollegen drauf, die zahlen einen Saupreis für die Einträge und da kann ich nicht mehr mithalten!“

 

Wenn ein Zahnarzt sich neu niederlässt und er somit noch nicht bekannt ist, dann kann ich das verstehen: Schließlich sollen seine potentiellen Patienten von seiner Neugründung erfahren und sein Behandlungsangebot kennen. Nach einiger Zeit jedoch sollten gerade in kleineren Orten die meisten Neupatienten über Mund-zu-Mund-Propaganda zu ihm finden. Wieso müssen ortsbekannte Kollegen aggressiv werben? Kommen ihre Patienten nicht mehr wieder, nachdem sie einmal von ihnen „behandelt“ wurden? Sind sie deshalb auf immer neue ahnungslose Kunden angewiesen? Werden sie nicht von ihren Patienten an deren Freunde und Bekannte weiterempfohlen?

Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt

Regelmäßige „Info-Abende“, bei denen man sich interessierten Bürgern als toller, kompetenter Experte vor Ort vorstellen kann, werden propagiert und von speziellen kommerziellen Veranstaltern professionell gegen Entgeltzahlung für interessierte Kollegen organisiert. Große Praxisschilder und mehrere Hinweispfeile markieren schon auf dem 250 m entfernten, speziell zu diesem Zweck angemieteten Parkplatz an der Einkaufsstraße den Weg zur Praxis. Und das, obwohl oder gerade weil die Praxis des anderen Kollegen schon 50 Meter neben dem Parkplatz liegt!

 

Doch das ist bei weitem noch nicht alles: Anzeigen auf dem Fahrzeug der Apotheke. Kostenpflichtige Darstellung der Praxis in der Beilage der örtlichenTageszeitung. Premium-Einträge mit „Empfehlungsmanagement“ bei „Jameda“ und anderen ähnlichen Portalen. Kostenpflichtige Mitgliedschaften bei „Leading Dentists of The World“ und anderen ähnlich hochtrabenden Gesellschaften. Praxisnamen wie „Leading Implant Center“… Alles Aktionen von Kollegen, die offensichtlich bereit sind, sehr hohe Geldbeträge jährlich in die Werbung zu investieren. Jeder von uns hat mittlerweile in der Nachbarschaft einen solch „fortschrittlichen“ Kollegen.

Wie registrieren unsere Patienten die aggressive Werbung?

Bis vor wenigen Jahren waren Mediziner in der Bevölkerung noch hoch angesehene Personen. Deren ethische Integrität wurde hoch geschätzt. Die Patienten begegneten ihrem Arzt oder Zahnarzt mit Respekt und Dankbarkeit, sie hatten volles Vertrauen zu ihm: Sie spürten, dass sich IHR Arzt oder Zahnarzt für sie verantwortlich fühlte, sie fühlten sich von ihm betreut und umsorgt, sie wussten, dass er sie stets entsprechend ihrer medizinischen Probleme und der daraus resultierenden Indikationen bestmöglich nach seinem Wissen und Gewissen behandeln wird.

 

Was hat sich geändert? Unsere Patienten merken, dass sie von den modernen, „fortschrittlichen“ Werbung treibenden, kaufmännisch bestens bewandten Medizinern nicht mehr als hilfebedürftige, kranke Menschen betrachtet und behandelt werden, als Patienten, sondern als potenzielle Kunden und Umsatzträger angesprochen werden. Sie merken, dass sie Opfer einer zunehmenden Kommerzialisierung werden, dass sie auf dem „Gesundheitsmarkt“ oft die Hühnchen sind, die gerupft werden sollen. Sie spüren, dass sich ihr Arzt oder Zahnarzt ethisch auf das gleiche Niveau begeben hat wie ihr Autohändler, Banker oder Versicherungsvertreter: alles Menschen, die nur SEIN BESTES wollen, nämlich sein Geld. Alles Menschen also, denen man mit einem gesunden Misstrauen begegnet, vor denen man „auf der Hut“ sein muss.

Das Ansehen und das Vertrauen schwindet …

Die Folge unseres „liberalisierten Auftretens“ ist ein stetig fallendes Ansehen der Mediziner in der Bevölkerung: Begeben wir uns mit der Kommunikation nach außen, mit unserer Werbung auf „Marktschreier-Niveau“, dann brauchen wir uns nicht darüber wundern, dass auch unser Ansehen in der Öffentlichkeit auf „Marktschreier-Niveau“ sinkt. Wir brauchen uns dann auch nicht darüber wundern, dass uns unsere Kunden behandeln wie den Bankberater, Versicherungsvertreter oder Autoverkäufer:

 

Sie nehmen unsere Aussagen nicht mehr für bare Münze und informieren sich im Internet oder bei Bekannten. Sie sind schwer von der medizinischen Notwendigkeit der von uns vorgeschlagenen Behandlungsschritte zu überzeugen, reagieren immer öfter unseren Behandlungsvorschlägen gegenüber misstrauisch – immer im Hinterkopf die Angst, von ihrem Arzt oder Zahnarzt primär nach betriebswirtschaftlicher und nicht nach medizinischer Indikation beraten und behandelt zu werden. Das (Vor-)Urteil ist dann schnell im Hinterkopf des Patienten: „Der will doch nur an mein Portemonnaie!“

 

Mangelndes Vertrauen führt zu einer geringeren Bindung der Patienten gegenüber ihrem Mediziner. Es führt zu einem enormen Zeitaufwand für Überzeugungsarbeit in der Praxis und zu „Verkaufsgesprächen“ selbst für einfache Behandlungen, die früher „verordnet“ wurden. Es führt zu exorbitantem Dokumentationsaufwand für Beratungsgespräche und zu immer mehr Arzthaftungsklagen. Es bringt Politiker auf die Idee, dass ein „Patientenrechte-Stärkungsgesetz“ notwendig wäre, um die hilf- und ahnungslosen Patienten vor den bösen, geldgierigen Medizinern zu schützen …

Ist der Preis zu hoch?

An dieser Stelle frage ich mich: Ist es uns das wert? Ich persönlich meine nein! Ich habe seinerzeit Zahnmedizin studiert, weil ich meinen Patienten helfen wollte, weil ich Spaß an meinem Beruf haben wollte, weil ich sie korrekt behandeln wollte, weil ich wusste, dass mir meine Patienten dafür dankbar sein und mir ihren Respekt zollen werden. Deshalb betrachte ich die jetzige Entwicklung der Medizin in Richtung Kommerz mit zwei tränenden Augen. Wie geht es Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen?