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01.07.2016·Rechtsprechung Nach Extraktion augmentieren: Beihilfe zahlt

·Rechtsprechung

Nach Extraktion augmentieren: Beihilfe zahlt

| Das Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe hat mit Urteil vom 12. November 2015 (Az. 9 K 2979/12, Abruf-Nr. 186958) entschieden, dass eine Augmentation nach Zahnentfernung von der Beihilfestelle zu bezahlen ist, wenn eine medizinische Notwendigkeit vorliegt. Zu diesem Zeitpunkt muss noch nicht feststehen, ob in dieser Region eine Implantation erfolgen wird. |

Der Behandlungsfall

Bei einer beihilfeberechtigten Patientin mit Implantatbestand wurden im Unterkiefer die Zähne 33, 32, 31 und 41 aufgrund einer parodontalen Zyste entfernt. Der vorliegende Knochendefekt musste augmentiert werden, um eine Schädigung der Zähne 34 und 42 zu verhindern und um das bestehende Hart- und Weichgewebe sowohl zu stützen als auch zu regenerieren.

 

Das Landesamt für Besoldung lehnte die Beihilfefähigkeit ab

Das Landesamt in Baden-Württemberg lehnte die Beihilfefähigkeit der Implantattherapie regio 41, 32 und 33 nach Vorlage der Heil- und Kostenpläne unter Verweis auf die eingeschränkte Beihilfefähigkeit bei Implantaten ab. Die Patientin hatte bereits in den Jahren 2006 und 2008 für acht Implantate Beihilfe erhalten. Laut Landesamt waren alle mit der Implantatversorgung verbundenen weiteren zahnärztlichen Leistungen – wie die Extraktion der Zähne und der eventuelle Knochenaufbau – von der Beihilfe ausgeschlossen.

 

Wie lauten die Bestimmungen in der Beihilfeverordnung?

Maßgeblich sind die Bestimmungen in § 5 Abs. 1 S. 1 Beihilfeverordnung (BVO). Die Beihilfefähigkeit der geltend gemachten Aufwendungen für die zahnärztlichen Leistungen ergibt sich aus dieser Verordnung. Danach sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach angemessen sind. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BVO sind aufgrund einer Krankheit u. a. die Aufwendungen für gesondert erbrachte und berechnete zahnärztliche Leistungen nach Maßgabe der Anlage zur BVO beihilfefähig. Der Fall der Patientin betraf solche zahnärztlichen Leistungen, deren medizinische Notwendigkeit durch die Angaben des behandelnden Zahnarztes belegt war und von der Beihilfestelle auch nicht infrage gestellt wurde.

 

Die Stellungnahme des Zahnarztes

Nach Extraktion und Augmentation erhielt die Patientin eine Rechnung, die vom Landesamt jedoch nach den geltenden Bestimmungen nicht erstattet wurde. Der Zahnarzt erläuterte die medizinische Notwendigkeit der Entfernung der Zähne aufgrund einer parodontalen Zyste. Aufgrund dieser Zyste habe sich ein erheblicher raumgreifender Verlust des Alveolarknochens über den gesamten Bereich – einschließlich einer profunden Knochentasche mesial am Zahn 34 – gezeigt. Dieser Knochendefekt habe gleichzeitig durch einen gezielten Knochenaufbau behandelt werden müssen – unabhängig davon, ob später Implantate inseriert werden. Die aufwendigen chirurgischen Maßnahmen hätten in erster Linie der Erhaltung der schwer in Mitleidenschaft gezogenen und lückenbegrenzenden Zähne 34 und 42 und der Wiederherstellung der verloren gegangenen anatomischen Strukturen bei einem ohnehin schon flachen Vestubulum gedient. Ohne diese Maßnahmen wäre nur eine schlechte Versorgung – gleich ob mit oder ohne Implantate – die Folge gewesen. Die Therapie diente lediglich dem Wiederherstellen der zerstörten anatomischen Strukturen und Erhaltung der lückenbegrenzenden Zähne 34 und 42. Zudem war – entgegen der Planung – in regio 41, 32 und 33 keine Implantatinsertion erfolgt.

Das Gerichtsurteil

Nach § 5 Abs. 1 S. 1 BVO sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach angemessen sind. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BVO sind aus Anlass einer Krankheit alle Leistungen beihilfefähig, auch gesondert erbrachte und berechnete zahnärztliche Leistungen nach Maßgabe der Anlage zur BVO. Es handelte sich um zahnärztliche Leistungen, deren medizinische Notwendigkeit durch die Angaben des behandelnden Zahnarztes der Patientin (Klägerin) belegt ist, was vom Landesamt (Beklagte) auch nicht infrage gestellt wurde. Bereits hieraus ergibt sich die Beihilfefähigkeit der geltend gemachten Aufwendungen für die zahnärztlichen Leistungen.

 

Es ist nicht davon auszugehen, dass die Extraktionen und die Augmentation Leistungen darstellten, die mit den Implantaten im Sinne der Nr. 1.2.4 der Anlage zur BVO verbunden sind. Eine medizinisch notwendige Zahnentfernung fällt von vornherein nicht unter die Ausschlussregelung der Nr. 1.2.4 der Anlage zur BVO. Die Entfernung eines kranken Zahns ist für den Beihilfeberechtigten alternativlos und erfolgt unabhängig von der späteren Art des Zahnersatzes.

 

Auch ein medizinisch notwendiger Knochenaufbau fällt nur dann unter die Ausschlussregelung, wenn diese Maßnahme ausschließlich oder überwiegend im Hinblick auf die spätere Implantatversorgung erfolgt. Sind diese dem Zahnersatz vorgelagerten Maßnahmen unabhängig von der späteren Art der Prothetik erforderlich, handelt es sich nicht um Leistungen, die mit einer späteren Implantation im Sinne der Vorschriften in Verbindung stehen. Die Augmentation im Vorfeld der späteren prothetischen Versorgung erfolgte losgelöst davon, ob später eine Implantatversorgung oder eine – kostengünstigere u- Alternativversorgung nachfolgte.

 

Das Ausufern der für die öffentlichen Kassen entstehenden Kosten aufgrund einer bewussten Entscheidung der Beihilfeberechtigten zugunsten einer kostenintensiven Behandlungsart war nicht zu befürchten.

 

FAZIT | Die Beihilfe kann nicht grundsätzlich Zahnentfernungen und/oder Knochenaufbauten von der Beihilfefähigkeit ausschließen, wenn in der Region implantiert werden soll und nach den Beihilferichtlinien bzw. der Beihilfeverordnung die Implantattherapie nicht beihilfefähig ist. Solange eine Augmentation nicht überwiegend oder ausschließlich einer späteren Implantation dient, ist die Maßnahme beihilfefähig. Eine Dokumentation des Befunds und der Therapieoptionen bei der Diagnostik erleichtert die Stellungnahme bei Rückfragen.