31.01.2018·Zahnmedizin Implantologie: Es gibt kaum noch absolute Kontraindikationen, dafür aber mehr Risikopatienten
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Implantologie: Es gibt kaum noch absolute Kontraindikationen, dafür aber mehr Risikopatienten
| In der Implantologie vollzieht sich ein Wandel: Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder Osteoporose, bei denen Zahnärzte noch vor wenigen Jahren von Implantaten generell abrieten, sind heute keine absoluten Kontraindikationen mehr. Tabu sind Implantate auch nicht mehr für Patienten, die mit Immunsupressiva, Antiresorptiva oder Angiogenesehemmern behandelt werden. Allerdings sorgen der demografische Wandel und komplexe medizinische Therapien dafür, dass ein Drittel der Patienten, bei denen implantatgetragener Zahnersatz möglich wäre, Risikopatienten sein werden. |
Welche medizinischen Risikofaktoren gibt es?
Zu den medizinischen Risikofaktoren zählen Erkrankungen und deren pharmakologische Therapie. Dabei sind nicht nur die Osteoporose und deren Behandlung mit Bisphosphonaten und Antikörpern zu nennen, sondern auch kardiovaskuläre Erkrankungen und Arzneistoffe im Renin-Angiotensin-Aldosteron-System sowie Betablocker. Chronische Entzündungen und die Anwendung von Kortison, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und Protonenpumpenhemmer kommen ebenfalls als Risikofaktoren in Betracht.
Das Immunsystem
Die Insertion dentaler Implantate ist mit einer Entzündungsreaktion des Körpers im Rahmen des knöchernen Einbaus verbunden. Darüber hinaus ist ein dauerhafter Implantaterfolg nur zu erreichen, wenn an der Durchtrittsstelle die bakterielle Invasion durch eine kompetente Immunabwehr in Schach gehalten wird. Das Immunsystem ist folglich sowohl bei der Einheilung als auch in der Gebrauchsphase der Implantate erforderlich, um den Erfolg der Implantatversorgung zu gewährleisten.
Patienten mit eingeschränkter Immunabwehr stellen eine potenzielle Risikogruppe für die Insertion dentaler Implantate dar. Eine Reduktion der körpereigenen Abwehr kann iatrogen durch Medikamente im Rahmen der Behandlung von Autoimmunerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa sowie bei einer Immunsuppression nach Organtransplantation entstehen.
Diabetes
Studien belegen mittlerweile, dass Diabetes kein unabhängiger Risikofaktor ist, der als einzelne Einflussgröße mit großer Wahrscheinlichkeit zu Komplikationen führt. Bei einem gut eingestellten Diabetes-Patienten, der seine Erkrankung unter Kontrolle hat und auf eine gute Mundhygiene achtet, spricht nach Meinung der Experten nichts gegen Zahnimplantate. Allerdings sind ausgeprägte Entzündungsprozesse oder die Auswirkungen eines metabolischen Syndroms auf die Blutgefäße bei Diabetikern relevante Risikofaktoren.
Krebs
In der modernen Krebsbehandlung kommt eine Vielzahl von Medikamenten zum Einsatz, deren Wirkungen und/oder Nebenwirkungen in die Entscheidung für oder gegen eine Implantattherapie einfließen müssen. Entzündungen der Mundschleimhaut gehören z. B. zu den quälenden und schmerzhaften Nebenwirkungen einer onkologischen Therapie. „Eine solche Schleimhaut verträgt keine Prothese“, sagt Prof. Grötz. „In solchen Fällen kann implantatgetragener Zahnersatz durchaus eine Alternative sein.“ Dies gilt auch für Patienten, die mit Bisphosphonaten behandelt werden. Diese Substanzen hemmen zwar den Abbau von Knochengewebe, vermindern aber auch dessen Umbaurate sowie die Neubildung von Knochen. Zum Einsatz kommen sie etwa in der Therapie der Osteoporose, aber auch bei Krebspatienten, bei denen Metastasen Knochengewebe zerstören.
Bisphosphonate
Während oder nach einer Bisphosphonat-Behandlung können in seltenen Fällen Nekrosen des Kieferknochens auftreten, die schwer zu behandeln sind. Dosis und Dauer der Bisphosphonat-Therapie, die Applikationsform ‒ intravenös oder Tabletten ‒ sowie das jeweilige Medikament beeinflussen das Osteonekrose-Risiko. Doch auch noch andere Faktoren spielen eine Rolle, etwa eine Entzündung des Zahnbetts (Parodontitis), Druckstellen von Prothesen sowie zahnärztliche oder kieferchirurgische Eingriffe.
Darum muss im Einzelfall das Risiko einer Osteonekrose gegen den Nutzen einer Implantattherapie sehr genau abgewogen werden. Zwar muss sich das Knochen- und Weichgewebe nach dem Eingriff regenerieren, doch die Therapie kann Druckstellen durch Prothesen vermeiden und den Erhalt der verbliebenen Zähne unterstützen. Der sogenannte „Laufzettel Bisphosphonate“, der schon seit einigen Jahren zur Verfügung steht, ermöglicht es dem Zahnarzt, das individuelle Risiko eines Patienten abzuschätzen.
Medikamente: Beachten Sie die Ampel!
Wie ausgeprägt der Einfluss von Medikamenten auf die Mundgesundheit und auf eine Implantattherapie ist, hängt auch von der Zusammensetzung der Mundflora ab: Bei einer physiologischen Keimbesiedlung springt die „Mundgesundheits-Ampel“ von Grün auf Gelb, wenn Patienten etwa mit Immunsuppressiva behandelt werden. Orange wird die Ampel, wenn beispielsweise Bisphosphonate hinzukommen, und sie wird rot bei einem dritten Risikofaktor. Wenn die Mundflora bereits pathologische Keime enthält, steht die Ampel schon auf Gelb und es genügen bereits zwei Medikamente, damit das rote Warnlicht leuchtet. Auf Orange steht die Ampel, wenn Patienten an einer oralen Infektion ‒ etwa an einer Parodontitis oder Periimplantitis ‒ leiden.
PRAXISHINWEIS | Sie müssen sich darauf einstellen, dass ein Drittel Ihrer Implantatpatienten medizinische Risikofaktoren trägt, die bei der Therapie-Entscheidung berücksichtigt werden müssen. Das wird den Trend verstärken, dass Medizin und Zahnmedizin enger miteinander verwoben werden. |