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02.08.2016·Recht Kostenerstattung bei prothetischer Versorgung: Ist Implantat gleich Implantat?

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Kostenerstattung bei prothetischer Versorgung: Ist Implantat gleich Implantat?

von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Norman Langhoff, Berlin

| Implantatgetragene prothetische Versorgungen sind nicht nur eine Möglichkeit unter mehreren Alternativen; auch unterschiedliche Varianten von Implantaten können in Betracht kommen. Im Behandlungsalltag ist oft unklar, ob private Krankenversicherungen berechtigt sind, die Kostenerstattung für bestimmte Versorgungsvarianten abzulehnen. Streitig kann z. B. sein, ob eine Kostenerstattung für Behandlungen, bei denen durchmesserreduzierte oder kurze Implantate verwendet werden (sollen), abgelehnt werden kann, nur weil – Zitat – „keine wissenschaftlichen Langzeitstudien vorliegen“. |

Mehrere Rechtsgrundlagen

Für eine rechtliche Beurteilung sind dabei mehrere Rechtsgrundlagen maßgeblich. Grundlegende Prinzipien zum privaten Krankenversicherungsschutz finden sich im Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Darüber hinaus sind Grundlagen in den Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK) enthalten. Außerdem gelten im Rahmen jedes einzelnen Versicherungsvertrags die jeweiligen Allgemeinen Versicherungsbedingungen des betreffenden Versicherers (AVB). Schließlich ist für den Umfang des Versicherungsschutzes der individuell vereinbarte Tarif des Versicherers maßgeblich.

Medizinische Notwendigkeit: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

Eine Leistungspflicht für den Versicherer besteht, wenn ein Versicherungsfall vorliegt. § 192 Abs. 1 VVG und § 1 Abs. 2 MB/KK fordern hierfür eine „medizinisch notwendige Heilbehandlung“. Nach gängiger Definition ist dies zu bejahen, wenn es – ohne dass ein medizinischer Erfolg sicher vorhersehbar sein muss – nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen. Eine Einschränkung auf im Bereich von Forschung und Lehre an wissenschaftlichen Hochschulen und Universitäten gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse folgt hieraus nicht. Ein vertraglicher genereller Ausschluss wissenschaftlich nicht allgemein anerkannter Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden ist ebenfalls nicht zulässig (BGH, 23.6.1993, Az. IV ZR 135/92).

Grundsatz: Der Patient muss die medizinische Notwendigkeit beweisen

Grundsätzlich muss der Versicherte – also der Patient – beweisen, dass die konkrete Behandlung medizinisch notwendig ist. Die fachliche Einschätzung allein des behandelnden Arztes genügt hierfür nicht. Maßgeblich ist immer ein Sachverständigengutachten. Fehlende „wissenschaftliche Langzeitstudien“ stehen einer Erstattungspflicht nicht per se entgegen. Allerdings wird der Nachweis einer „Erfolgsversprechenden praktischen Bewährung“ verlangt werden dürfen. Nach vielfacher obergerichtlicher Rechtsprechung ist „die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung vom Standpunkt der Schulmedizin aus zu beurteilen, wobei noch nicht abschließend gesicherte Erkenntnisse jedoch mit zu berücksichtigen sind“.

Praktische Würdigung

Wenn eine Kostenerstattung pauschal abgelehnt wird, ist das meines Erachtens nicht haltbar. Tatsächlich scheint zwar die Langzeitstudienlage hinsichtlich der Verwendung von durchmessereduzierten (≤ 3,5 mm) und kurzen (≤ 8 mm) Implantaten noch nicht eindeutig zu sein. Der Grund ist, dass keine randomisierten kontrollierten, sondern in erster Linie retrospektive Studien vorliegen (BDIZ EDI, Leitfaden „Kurze und angulierte Implantate“ – Entwicklungsstufe: S2, 2011). Dennoch ist deren Einsatz in der implantologischen Praxis durchaus anerkannt. So hieß es jüngst in einer Veröffentlichung des BDIZ EDI:

 

  • Update: Kurze, angulierte und durchmesserreduzierte Implantate, 11. Europäische Konsensuskonferenz 2016

„Die Anwendung von kurzen, angulierten oder durchmesserreduzierten Implantaten bei reduziertem Knochenangebot stellt heute – bei Beachtung der spezifischen Behandlungsparameter – eine verlässliche Therapieoption im Vergleich zu den Risiken bei der Anwendung von Implantaten mit Standarddimensionen in Kombination mit augmentativen Verfahren dar.“

 

Allerdings wird deutlich, dass diese Therapievarianten nicht unreflektiert, sondern unter Beachtung bestimmter Rahmenparameter gewählt werden sollten (siehe PI 02/2012, S. 17), und dass sie nicht durchgehend als Äquivalent zu „normalen“ Implantaten zu sehen sind (vgl. Schiegnitz, Quintessenz 2014; 65 (1), S. 1 – kurze Implantate – und Schiegnitz/Al-Nawas, Implantologie 2013; 21 (3), S. 251 – durchmesserreduzierte Implantate).

 

Deshalb sollten die maßgeblichen diagnostischen und therapeutischen Erwägungen im konkreten Behandlungsfall im Rahmen der durchzuführenden Aufklärung über die Behandlungsalternativen stets sorgfältig dokumentiert und die Patienten zudem bei der wirtschaftlichen Aufklärung auf mögliche Kostenerstattungs-Risiken hingewiesen werden.

 

PRAXISHINWEIS | Grundsätzlich hat der Krankenversicherer entstandene Kosten zu erstatten, nicht aber Vorschusszahlungen zu gewähren. Eine Klage auf Feststellung der zukünftigen Leistungspflicht ist nur zulässig, wenn die Forderung nicht nur auf künftig mögliche, sondern auf ärztlich für notwendig erachtete bevorstehende Behandlungen gerichtet ist und eine erschöpfende Lösung der Erstattungsfrage zu erwarten ist (ständige Rechtsprechung, siehe BGH-Urteil vom 8.2.2006, Az. IV ZR 131/05). Voraussetzung ist dabei immer ein konkreter Kostenvoranschlag (BGH, Urteil vom 13.5.1992, Az. IV ZR 213/91).